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(L. Mies v. d. Rohe)

 

Bjarke Ingel Group, Danimarca

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Dal prestigioso quotidiano svizzero NZZ (www.nzz.ch)

 

Das Klima inspiriert den Architekturstar Bjarke Ingels: «Gerade weil Menschen den Klimawandel hervorbringen und beschleunigen, werden sie auch die Lösung sein.»

Über den dänischen Architekten Bjarke Ingels werden Netflix-Filme gedreht. Mit seinen Fans kommuniziert er bevorzugt über Instagram. Dabei vertritt er die Ansicht, dass Klimaschutz nichts mit Verboten, sondern mit der Steigerung von Lebenslust zu tun haben sollte. Antje Stahl traf ihn in Norwegen zum Gespräch.

Antje Stahl 30.10.2019, 05:30 Uhr

Bjarke Ingels, Gründer des dänischen und internationalen Architekturbüros BIG. 

Über die Königin Sonja von Norwegen könnten wir jetzt ein wenig plaudern: Vor wenigen Wochen hat sie, begleitet von der Blasmusik der Militärkapelle, nämlich nicht nur ein Privatmuseum nördlich von Oslo eingeweiht. Nein, sie hat für die knapp 500 Gäste dieses Events auch noch höchstpersönlich bunte Landschaftsdrucke angefertigt. Im Anschluss an Reden, Dinner und Party wurden diese Bilder von knöchrigen Bäumen handsigniert und zusammen mit einer Elchwurst in einem Jutebeutel ausgehändigt.

Ob Sonja dieser bizarren Goodie-Bag-Mischung zugestimmt hat?, fragte man sich. Oder sie den anderen Künstlern Konkurrenz machen wollte, die hier ausgestellt werden, darunter Anish Kapoor, Yayoi Kusama und Olafur Eliasson? Das werden wir an anderer Stelle klären müssen. Die Royals (der Kronprinz Frederik von Dänemark war auch da) würden uns einfach zu sehr von unserem eigentlichen Protagonisten abbringen: Immerhin steht der Architekt Bjarke Ingels hier im norwegischen Wald bei Jevnaker für ein Interview zur Verfügung.

Über Wochen, ach Quatsch, Monate haben wir sein Architekturbüro BIG angeschrieben mit der Bitte, uns doch endlich einmal einen Termin mit dem dänischen Architekten einzurichten, der so ganz anders über den Klimawandel, die Nachhaltigkeit und die Krise spricht, als man das von Aktivisten und Politikern und sogar von Architekten so gewohnt ist. Netflix-Filme werden deshalb über Bjarke Ingels, Jahrgang 1974, gedreht, er gibt TED-Talks und kommuniziert mit seinen unzähligen Fans über Twitter und Instagram (mit immerhin knapp 700 000 Followern). Das macht ihn zu einem der wenigen Architekten, die nach den Massen greifen. Auch Investoren lieben ihn für seine Storytelling-Künste, überhäufen ihn weltweit mit Aufträgen. Manhattan soll er sogar vor dem steigenden Meeresspiegel retten und bis 2050 einen neuen Landstreifen rund um den südlichen Teil der Insel bauen. Kollegen nervt dieser grossmassstäbliche Erfolg des Büros natürlich. Über die Universität Harvard findet man einen offenen Brief, in dem sogar der Nachwuchs zugibt, wie neidisch er auf den Erfolg von Ingels ist – und wie frustriert, dass er die Welt mit seinen Mammutprojekten vielleicht doch nicht retten wird. Es gibt also viel zu besprechen. Eine halbe Stunde gewährte uns die PR-Maschine anlässlich der Eröffnung des Museums in Norwegen mit diesem Pop-Star. Verschwenden wir daher keine Zeit und . . .

. . . schauen uns mit ihm in aller Ruhe ein Foto von seinem knapp einjährigem Sohn auf seinem Mobiltelefon an, das er auch auf seinem Instagram-Account teilt . . .

Wie heisst Ihr Sohn?

Darwin. Er hat auch seinen eigenen Instagram-Account, da ich so viele Fotos von ihm poste. Ich bin halt wie alle anderen Eltern auch: Ich denke, er ist das interessanteste, faszinierendste, schönste, brillanteste Wesen.

Als Anmerkung der Redaktion müsste an dieser Stelle eigentlich zum ersten Mal «lacht» auftauchen, da Bjarke Ingels aber ununterbrochen lacht, verzichten wir darauf und setzen ab sofort voraus, dass die Leserin dieses «Lachen» mitliest.

Und Darwin wie in Charles . . .

. . . ja, wie Charles Darwin. Er hat am 21. November Geburtstag, und Darwin hat sein erstes Buch, «Über die Entstehung der Arten», am 24. November 1859 publiziert. Seine Mutter Ruth ist zudem Spanierin, und der Name funktioniert sowohl auf Spanisch als auch auf Dänisch und Englisch. Und Ruth bedeutet auf Hebräisch «Freund», und Darwin nannte man in England früher seinen «lieben Freund», und ja: Ich liebe halt Charles Darwin.

Herr Ingels, warum sind Sie eigentlich der einzige Architekt, der wirkt, als bereite ihm sein Job so richtig gute Laune?

Ha, ja, das ist lustig. Also ich glaube, mein Job bereitet mir genauso viel Freude wie anderen auch . . . Wir haben gerade eine Ausstellung eröffnet mit dem Titel «Formgiving», die uns Architekten und Designer ganz gut daran erinnern kann, was unseren Beruf eigentlich relevant und wichtig macht: dass wir dem eine Form geben, das noch keine hat, der Zukunft und insbesondere der Zukunft, in der wir gerne leben möchten. Und ich kann mir einfach keine aufregendere und bedeutungsvollere Aufgabe vorstellen als diese. Selbstverständlich ist es manchmal hart und eine echte Herausforderung – es war definitiv nicht immer lustig, an diesem Projekt zu arbeiten, es gab viele «Fuck, yeah»-Momente, dann aber auch wieder viele wie «Jeeesus».

Bjarke Ingels liebt Comics, das sollten wir vielleicht kurz erwähnen. Sein Architekturcomic «Yes is more» wurde sogar vom strengen Architekturbetrieb einigermassen ernst genommen. In diesem Archicomic formulierte die Bjarke Ingels Group, kurz BIG, zum ersten Mal die Hoffnung, dass umweltverträgliche Architektur nicht aussehen müsse wie langweilige Betonkisten und nicht unbedingt Einschränkungen für seine Nutzer bedeuten müsse.

Auf ihrem Instagram-Account haben Sie das Foto eines Mannes gepostet, der aussieht wie Sie in sagen wir 30 bis 40 Jahren. Hilft Ihnen das, sich in die Zukunft hineinzuversetzen?

Jaaa, wie alle war auch ich von dieser App fasziniert . . .

. . . die einen mithilfe von Filtern in einen alten Menschen verwandelt. Stellen Sie sich vor, Sie wären 80 Jahre alt: Was haben Sie bis dahin erreicht?

Also wenn man in Lebenszeit rechnet, habe ich etwas mehr als die Hälfte hinter mir, richtig? Idealerweise würde ich für Dinge erinnert werden, die ich noch nicht gemacht habe. Ich meine, ich bin sehr glücklich mit unseren Projekten, aber wir lernen doch ständig dazu und arbeiten dafür oder sehnen uns danach, zu wachsen, uns geistig und kreativ weiterzuentwickeln. Insofern hoffe ich, dass unser bedeutsamster Beitrag noch vor uns liegt.

Und Sie haben noch keine Vorstellung davon, wie dieser aussehen könnte?

Grundsätzliche Ideen, die unsere Praxis seit vielen Jahren prägen – wie «Utopian Pragmatism» oder «Hedonistic Sustainability» –, werden auch in Zukunft eine grosse Rolle für unsere Arbeit spielen. Genauso wie die Überzeugung, dass Architektur und Design nichts mit Stil oder Ästhetik zu tun haben, sondern vielmehr der Zukunft eine Form geben.

«Hedonistic Sustainability» ist ein so aufregender Gedanke, immerhin vertreibt er endlich die Vorstellung, dass Nachhaltigkeit Verzicht und Verbote bedeuten wird: nach dem Motto, wenn wir die Umwelt schützen wollen, müssen wir unsere Freiheit aufgeben, dürfen wir nicht mehr fliegen oder kein Fleisch mehr essen. Sie hingegen sagen: Nein, nachhaltig kann Vergnügen bereiten, Lust steigern. Hätten Sie damals, als Sie im Jahr 2005 BIG gründeten, gedacht, dass Sie so viel Erfolg haben würden?

Auf keinen Fall. Ich war nie besonders ambitioniert oder strategisch. Ich habe mein eigenes Büro nur deshalb aufgemacht, weil ich bereits für einige Architekten rund um die Welt gearbeitet hatte und wusste, dass ich mich jenseits der Politik weiterentwickeln wollte, die in Architekturbüros so am Wirken ist. Insofern gingen mir eher die Alternativen aus, als dass ich einen Plan gehabt hätte.

Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen.

Immer mehr Menschen gehen für die Zukunft auf die Strasse. Was sie antreibt und zugleich abschreckt, ist die Vorstellung eines zerstörten Planeten Erde. Was halten Sie von einem politischen Aktivismus, der auf apokalyptische Szenarien setzt?

Ich denke nicht, dass Hoffnungslosigkeit besonders motiviert. Es gibt sehr viel Ungewissheit über die Zukunft, wir wissen nicht, ob so ein Szenario wirklich Realität wird. Wenn die Erde allerdings unsere einzige Anlagemöglichkeit ist, wäre es weise, sich besonders gut um sie zu kümmern. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, überrascht zu werden oder es zu versauen. Ich war gerade in Berlin auf der Konferenz «Manhattan Projects», auf der sehr proaktiv über neue Technologien und den Klimawandel gesprochen wurde: Es ging konkret darum, wie man CO2-Emissionen reduzieren kann, um CO2-freie Industrie und Investitionen in profitable Unternehmen. So etwas zeigt doch: Wir stehen vor einer grossen Herausforderung und Krise, aber wir Menschen sind sehr gut darin, damit umzugehen. Ich bin also optimistisch, nicht weil ich denke, dass sich die Dinge von selbst regeln, sondern weil wir sie regeln werden.

Viele Ihrer Projekte scheinen den Klimawandel nicht verhindern zu wollen, sondern vorauszusetzen. «Oceanix City» zum Beispiel besteht aus Inselgruppen, die im Meer schwimmen können. Sie bieten Wohnraum für kleinere Gemeinden, die im Jahr 2050 aus ihren überfluteten Städten vertrieben worden sein würden, und Anbauflächen für Muscheln und Austern, Kultur- und Sportzentren, Sonnendächer. Alles in allem ein «menschengemachtes Ökosystem» ohne Abgase und Abfall, das einem Paradies gleicht. Ist es nicht zynisch, den steigenden Meeresspiegel als Versprechen zu verkaufen?

Der Chemiker und Klimaexperte Sir David Kind zeigte jüngst Bilder aus Sibirien, wo bekanntlich die Permafrostböden tauen. Das setzt den Kohlenstoff frei, der darin gespeichert ist, und das führt zu massiven Explosionen. Wenn sich die Welt verändert, entstehen also sehr grosse Probleme, aber wir können sehr gut mit so etwas umgehen. Das Leben entwickelte sich ja auch durch Anpassung, und die Menschheit entwickelt sich durch die Fähigkeit zur Kollaboration.

Ob unser aller Zukunft so aussieht, sei einmal dahingestellt. Das Architekturbüro BIG allerdings will auf die steigenden Meeresspiegel reagieren und entwarf eine Stadt aus Inseln, die im Jahr 2050 bis zu 10 000 Menschen beherbergen soll. In Oceanix City werden sie sich selbst versorgen können, etwa durch Algenfelder, Austern- und Muschelbänke. Es gibt Bildungseinrichtungen, Sportzentren und Krankenhäuser sowie Baumschulen für Bambus, «der sechsmal so belastbar» sei «wie Stahl». Und selbstverständlich einen nachhaltigen Energiehaushalt. (Bild: PD)
Das Dach der neuen Firmenzentrale von Google soll mittlerweile stehen. Im Netz kursieren die Beweisfotos, und in Blogs wird über den Baufortschritt des grossen Campus in Mountain View, Kalifornien, berichtet. Wie der Panzer einer Schildkröte liegt er da im Silicon Valley, die Fensterfronten zwischen den zeltartigen Dächern werden «lächelnde Lichtgaden» genannt. Gemeinsam mit Londons Heatherwick Studio entwarf BIG das neue Gesicht der weltweit erfolgreichen Internetsuchmaschine. (Bild: BIG)
Die Bjarke Ingels Group denkt gerne im grossen Massstab: An der West 57th Street stellte BIG 2016 eine Wohnpyramide fertig. VIA heisst das Gebäude mittlerweile offiziell mit seinen rund 700 Wohneinheiten, das BIG als «courtscraper», also eine Mischung aus Hof und Hochhaus, beschreibt. (Bild: PD) Im Hofgarten von VIA befindet sich nämlich, wie man das eher von europäischen Städten mit Blockrandbebauung gewohnt ist, ein grosser Garten. Blick zum Hudson River an der West 57th Street. (Bild: PD) Das 2009 bezogene «8-House» oder «Endless House» verbindet über eine Schlaufe 475 Wohneinheiten. Es gibt ein- bis zweigeschossige Reihenhäuser und Apartments für Singles, Büros und Geschäfte und öffentliche Wege, die diese miteinander verbinden. In Ørestad auf der Insel Amager, zwischen dem Flughafen und Kopenhagen, wo das Gebäude sich befindet, entstand so eine kleine Stadt in der Stadt. (Bild: PD) Die über einer Parkgarage gestapelten Mini-Villen des «Mountain House» in Ørestad waren das international vielbeachtete Erstlingsprojekt von BIG aus dem Jahr 2006. Hier spielte das Architekturbüro mit Formen aus der Natur, um der Architektur ein grünes Image zu schenken. (Bild: PD)

Close-up der Mini-Villen. (Bild: PD)
Mountain House aus der Ferne. (Bild: PD)
Öffentlicher Raum: Der «Rote Platz» in Kopenhagens Superkilen-Anlage mit Versatzstücken, die an die multikulturelle Gesellschaft im Stadtteil Nørrebro erinnern sollen. (Bild: PD) Mit kubischen Aufsätzen gelang BIG beim Transitlager auf dem ehemaligen Freilager im Basler Dreispitz eine überaus flächeneffiziente und formal wirksame Geste. Die Balkone der Übereck-Wohnungen blicken direkt auf das Wohnhochhaus «Helsinki» von Herzog & de Meuron. (Bild: PD) Die Visualisierung des «Atelier Musée Audemar Piguet» in Le Brassus im Vallée du Joux, das im April 2020 eröffnet wird, zeigt eine Reihe von Zugangsrampen, die im Winter zum Langlauf benutzt werden dürfen. (PD)

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Ob unser aller Zukunft so aussieht, sei einmal dahingestellt. Das Architekturbüro BIG allerdings will auf die steigenden Meeresspiegel reagieren und entwarf eine Stadt aus Inseln, die im Jahr 2050 bis zu 10 000 Menschen beherbergen soll. In Oceanix City werden sie sich selbst versorgen können, etwa durch Algenfelder, Austern- und Muschelbänke. Es gibt Bildungseinrichtungen, Sportzentren und Krankenhäuser sowie Baumschulen für Bambus, «der sechsmal so belastbar» sei «wie Stahl». Und selbstverständlich einen nachhaltigen Energiehaushalt. (Bild: PD)

Trotzdem scheinen Zukunftsentwürfe wie «Oceanix City» zu sagen: Entspannt euch, wenn die Welt untergeht, können wir es trotzdem schön haben.

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Zukunft beeinflussen können. Es ist phantastisch, ein Formgeber zu sein. Und es ist phantastisch, dass es jetzt hier in Norwegen ein Museum gibt, das zwei Flussseiten miteinander verbindet, dass ich so etwas in einem Zeitraum von acht Jahren verwirklichen durfte. Fast gleichzeitig eröffneten wir das Kraftwerk in Kopenhagen, auf dem man Skilaufen kann, weil wir das sauberste Kraftwerk in der ganzen Welt gebaut haben. Also ja, wenn wir nichts tun, kann eine Menge schiefgehen – aber deshalb sollten wir nicht nichts tun.

(Kurzer Einschub: Copenhill, eine Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen, auf der man tatsächlich Skilaufen kann, wird schon seit Jahren in der Presse diskutiert. Es ist eines dieser Prestigeprojekte des Architekturbüros BIG, das so falsch wie richtig wirkt: Abfall wird hier in Strom verwandelt, und modernste Abgasfilter sorgen dafür, dass keine Giftstoffe in die Atmosphäre treten, wie die dänischen Behörden nun endlich auch attestierten. Kindern ist es nun ab sofort hochoffiziell erlaubt, auf dem Gebäudeberg im Industriegebiet Ski anzuschnallen. Es gibt zwar keinen Schnee, aber das grüne Plastik auf dem Dach der Müllverbrennungsanlage tut es offenbar auch. Die Frage ist nur, ob diese Form der «Hedonistic Sustainability» – «hedonistischen Nachhaltigkeit» – dem Nachwuchs nicht auch signalisiert, dass Abfall gut für die Freizeitgestaltung ist.)

Was schlagen Sie vor?

Man sollte mit praktischen, handfesten Vorschlägen kommen. Wir arbeiten gegenwärtig an einer Art Meta-Projekt, das wir Masterplanet nennen, also einen Masterplan für den Planeten. Wir wissen ja, dass Menschen fähig sind, generationsübergreifend Einsätze zu koordinieren, die unendlich viele Ressourcen brauchen. So haben wir Kathedralen gebaut. Wir brauchen nur einen Masterplan. Gegenwärtig gibt es eine Menge Literatur und viele Dokumente, die das Chaos belegen und die Probleme definieren, aber es gibt nur partielle Klimaziele: Diese Stadt möchte dies zu diesem Zeitpunkt verändern und jene etwas anderes erreichen . . . aber das läuft nirgendwo in einem Masterplan zusammen.

Und wie sieht dieser «Masterplan-et» aus?

Wir müssen ihn erst noch erarbeiten, doch er wird einige grosse Privatunternehmen, internationale Institutionen, Investitionsmöglichkeiten und Entwürfe zusammenführen. Der Klimawandel liegt entweder in den Händen von Politikern, oder dann von Wissenschaftern. Was Architekten und Designer beitragen können, ist, dass Dinge realisiert, umgesetzt und gestaltet werden. Wir wissen, wie das geht: eine Idee zu verfolgen, dieses zu studieren und jenes zu testen und einen Fahrplan zu erarbeiten. Über unsere Zukunft sollten nicht Politiker und Wissenschafter entscheiden, sondern Architekten, Ingenieure und Investoren.

Können Sie sich vorstellen, mit Greta Thunberg zusammenzuarbeiten?

Klar! Greta ist ein grossartiges Maskottchen für eine Generation, die frustriert ist von der Vorstellung, dass die Welt unterzugehen scheint und niemand etwas dagegen tut. Ich würde gerne ihren Input hören, aber wir würden wohl schon sehr viel Expertise aus der Wissenschaft, der Technologie, der Chemie brauchen. Es wird um Materialien gehen, um konkret umsetzbare, praktische Lösungen.

Ein Uno-Bericht aus dem Jahr 2017 dokumentiert, dass die Bauindustrie 36 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs ausmacht und fast 40 Prozent des Co2-Ausstosses. Architektur wird mit anderen Worten als Problem wahrgenommen, Sie präsentieren sie als Lösung. Wie geht das zusammen?

Wenn man die Menschen als Teil des Problems bezeichnen würde, wäre das wahr, aber gleichzeitig auch bescheuert, oder nicht? Gerade weil Menschen den Klimawandel hervorbringen und beschleunigen, werden sie auf jeden Fall auch die Lösung sein. Wenn wir das Klima auf der Erde quasi aus Versehen verändern, stellen Sie sich vor, was passierte, wenn man es bewusst verändern möchte. Wir haben die Kapazität – die Kraft dazu.

Und trotzdem zerstört die Bauindustrie die Umwelt. BIG wird im «WA100»-Ranking mit 248 Mitarbeitern auf Platz 50 der weltweit grössten Architekturbüros geführt. Ihre Projekte machen dem Namen Ihres Büros alle Ehre: Es sind riesengrosse Wohnkomplexe, Hotels, Hochhäuser für Grossinvestoren. Wie passen Klimaschutz und Architekturgeldmaschine zusammen?

Jeder, der denkt, dass Architektur so ein grosses Problem darstellt, sollte versuchen, obdachlos zu sein. Wenn Gebäude ein Problem sind, dann schaffen Sie sie ab. Dann wird es nur sehr hart, den Winter in Zürich zu überstehen.



Das ist eine sehr polemische Antwort.

Ja, es ist auch eine dumme Antwort, klar, aber wenn wir die Wahl haben zwischen Architektur und Obdachlosigkeit, entscheiden wir uns für die Architektur. Es gibt nur sehr wenige Orte auf der Welt, wo 7,5 bis 8 Milliarden Menschen ohne sie leben könnten, jedenfalls nicht in Norwegen, Zürich oder Kopenhagen: Wir brauchen Architektur. Eines der Merkmale, die das Leben im Gegensatz zu toter Materie definieren, ist, dass es Energie verbraucht. Energie zu verbrauchen, ist also keine schlechte, sondern eine gute Sache, jedenfalls wenn man das Leben für eine gute Sache hält. Wir wollen Energie verbrauchen. Wir wollen sie nur nicht verschwenden. In gewisser Hinsicht ist das auch das Problem mit der Luftverschmutzung: CO2 und Treibhausgase sind Nebenprodukte, die niemand will oder braucht. Aber was ist, wenn sie Ressourcen werden, wenn sie neue Dinge hervorbringen – Kohlenstofffasern zum Beispiel? In der Schweiz gibt es die Firma Climeworks, die eine Technologie entwickelt hat, die Kohlenstoff einfängt.

So wie die Staubsaugerschiffe das Plastik aus den Meeren fischen sollen. Statt die Ursache – den Einsatz von Plastik, die Verpackungsindustrie und so weiter – zu bekämpfen, erfindet man immer neue Maschinen. Das kurbelt die Wirtschaft an.

Sehen Sie der Wahrheit ins Gesicht. Wenn man saubere Luft einatmen möchte, sollte man aufhören zu rauchen, aber man tut es nicht. Also müssen wir die Luft reinigen, solange wir noch rauchen. Es sind eben noch nicht alle Autos elektrisch und alle Kraftwerke sauber, globale Erderwärmung ist Realität. Ich stimme ja zu, dass man an die Ursache des Problems kommen muss, aber solange wir diese nicht behoben haben, müssen wir uns mit anderen Mitteln behelfen. Ich bin Optimist, wir haben die Kultur, damit umzugehen, es müssen nur sehr viele Menschen sehr viel Energie hineinstecken.

Architekten versuchen das Problem ja nicht selten architektonisch zu lösen: Beispielsweise indem nicht neu gebaut, sondern der Bestand genutzt wird oder Bauabfälle wiederverwertet werden.

Das ist auch eine sehr gute Idee. Alle unsere Büros befinden sich in bestehenden Gebäuden, wir verwandeln einen alten Department-Store auf der 5th Avenue in New York in ein Büro, eine alte Lagerhalle in Soho in den Hauptsitz von «The Atlantic» und ein altes Hafenbecken in ein Museum. Klar. Aber wenn Sie sich das Bevölkerungswachstum anschauen, ist es klar, dass wir mehr Gebäude brauchen werden, dass wir alte ersetzen müssen, dass Leute vielleicht einmal aus ihren Hütten ausziehen wollen, die sie mit zwölf Familienmitgliedern teilen. Es wäre aberwitzig, Architektur zu verdammen. Sie ist im Gegenteil so gut, dass sie die Lebensqualitäten verbessern kann, ein Kind vielleicht davor schützt, verpestete Luft einzuatmen. Wir fangen doch gerade erst an, die Konsequenzen unseres Handelns zu verstehen, daher werden wir sie auch entschärfen und in etwas Positives verwandeln können.

Sie glauben an den guten alten Fortschritt.

Gleichgewicht ist kein stabiler Zustand – ein Seiltänzer balanciert, denn wenn er stillstünde, würde er sofort fallen. Er bewegt sich ununterbrochen ein klein wenig, das heisst, er verwendet sehr viel Energie darauf, sein Gleichgewicht zu halten.

Sprechen Sie über sich selbst? Sie bewegen sich ja auch ständig. Laut Ihrem Instagram-Account pendeln Sie zwischen dem Burning-Man-Festival in der Wüste des US-Bundesstaates in Nevada, King’s Landing, dem Hauptschauplatz der Fernsehserie «Game of Thrones», den Malediven, griechischen Inseln und natürlich Skandinavien. Wie ist Ihr ökologischer Fussabdruck?

Es ist sehr nett, dass Sie das fragen. Ich fliege nämlich mit SAS, und wir kompensieren den CO-Ausstoss aller unserer Geschäftsflüge.

Und wie sieht es mit dem ökologischen Fussabdruck Ihres Unternehmens aus?

Den habe ich noch nicht berechnet, aber ich mit mir sicher, er ist praktisch im Minusbereich . . .

Wie angekündigt, stand uns für dieses Gespräch nur eine halbe Stunde zur Verfügung. Bjarke Ingels muss eine Gruppe von internationalen Journalisten nun durch «The Twist», das private Brückenmuseum in Norwegen, führen. In einer Stunde wird auch Königin Sonja mit der Blaskapelle und ihren bunten Landschaftsbildern eintreffen. Der Kunstsammler, erfolgreiche Geschäftsmann und Skulpturenparkbesitzer Christen Sveaas begrüsst sie, wie seine besten Freundin. Prost. Vielen Dank. Und adieu.

Versöhnung mit sinnloser Architektur? Im norwegischen Privatmuseum «The Twist» glänzt das Aluminium, nicht die Kunst.

Antje Stahl 30.10.2019, 05:30

Ein dänischer Architekt baut auf Storytelling

svf. · Bjarke Ingels, Jahrgang 1974, gründete 31-jährig sein Büro Bjarke Ingels Group, abgekürzt BIG. Unterdessen ist das Unternehmen nach Kopenhagen auch in New York, London und Barcelona ansässig und wird von 17 Partnern, 26 Associates und 15 Direktoren geführt. Ingels’ Karriere begann mit dem Wohnungsbauboom in Kopenhagens südlicher Stadterweiterung Ørestad, wo er zuerst mit zwei figurativen Grossbauten (in Form der Buchstaben V und M und dann als Hügellandschaft über einer Parkgarage) auf sich aufmerksam machte.

Der internationale Durchbruch erfolgte dann 2009, ebenfalls in Ørestad, mit dem «Endless House» (nicht zu verwechseln mit Friedrich Kieslers konzeptueller Arbeit), das gar kein Haus, sondern ein ganzes Quartier aus Reihenhäusern entlang einer inneren Strasse ist. Diese führt wie eine Möbiusschlaufe, oder eben wie eine liegende 8 für unendlich, durch die riesige Struktur. Entgegen der anfänglichen Skepsis der traditionellen Städtebauer, ob hier nicht der Traum formalistischer Megastrukturen wieder auflebe, wurde das 8-House von den Bewohnern gut angenommen und trotz der peripheren Lage zum lebendigen Quartier. Die Idee, Le Corbusiers «Unité d'habitation» in einer zeitgenössischen Adaption weiterzuführen, ist in den eng verschachtelten und ineinander verschränkten Reihenhäusern, Wohnungen und Erschliessungswegen spürbar. Das einzige Problem sind vielleicht die vielen Architekturtouristen, denen am Aufgang zur Rampe mitgeteilt wird, dass ihre Besuche hier eigentlich nicht erwünscht sind.

Zu den zahlreichen und internationalen Grossprojekten, die BIG seither entwerfen und teilweise verwirklichen konnte, gehören auch ein pyramidenförmiges Wohnhochhaus in New York und das Lego-House im dänischen Billund, welches als Hotel das dänische Lego-Land ergänzt. Sie alle zeigen nicht nur die bildhafte Sprache des Büros, sondern auch die Massstabspielereien und zuweilen die Masslosigkeit von BIG. Legosteine werden hier buchstäblich zum Modell für einen Häuserblock, oder eine von Uhrwerken inspirierte Spirale wird zur Rampe für Langläufer: so im «zugleich zeitgenössischen wie traditionellen» Uhrenmuseum mit Gästeunterkunft «Musée Atelier Audemars Piguet» in Le Brassus (Vallée de Joux) in der Romandie, das zur Zeit im Bau ist und im Frühjahr 2020 eröffnet werden soll. In der Schweiz bereits fertiggestellt wurden 2016 der Umbau und die Aufstockung des Transitlagers am Dreispitz im ehemaligen Freilager in Basel-Münchenstein.

Die Ausstellung «Formgiving» von BIG im Danish Architecture Center, Kopenhagen, läuft noch bis zum 12. Januar 2020.



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